Fit wie eine Muschel? Altersforschung an Muscheln aus der Nordsee und Antarktis.


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Eva.Philipp [ at ] awi.de

Abstract

Fit wie eine Muschel? Doktorarbeit von Eva Philipp an der Universität Bremen 2005 Mechanismen zellulärer Alterungsprozesse bei polaren und borealen marinen WirbellosenDie Frage, warum und wie Organismen altern, hat seit jeher die Gesellschaft und Wissenschaftler interessiert. Bisher wurden über 300 Alterungstheorien aufgestellt. Ältere Theorien wurden bereits zum Teil widerlegt, während andere immer noch Bestand haben. Schon griechische Philosophen stellten die These auf, dass das Geheimnis der Verlängerung menschlichen Lebens in einer asketischen Lebensweise läge, da somit die Flamme des Lebens erhalten würde, sie jedoch nicht zu stark aufflammte. Heutzutage wird diese Theorie die Caloric Restriction Theory, genannt, übersetzt: die Theorie der reduzierten Kalorienaufnahme, und die Erklärung, warum damit das Leben verlängert wird, wird wissenschaftlich untersucht. Heute wie damals ist das Interesse an der Altersforschung groß. Durchstöbert man die Medien findet man Anti-Ageing-Cremes und -Kochbücher, denn es geht nicht mehr nur darum das Leben zu verlängern, sondern auch möglichst lange körperlich und geistig fit zu bleiben.In meiner Doktorarbeit habe ich mich aus besonderem Anlass mit dem Alterungsprozess mariner Muscheln beschäftigt: sie bilden wie Bäume Altersringe! Andere Organismen, z.B. Ratten und Mäuse, müssen im Labor geboren und aufgezogen werden, um das chronologische Alter, das Alter in Jahren, zu bestimmen. Muscheln können aus ihrer natürlichen Umgebung herausgenommen, und das Alter jedes einzelnen Individuums genau bestimmt werden. Hiermit ist es möglichen den natürlichen Alterungsprozess bei verschiedenen Arten und in unterschiedlichsten Lebensräumen direkt zu untersuchen. In meiner Doktorarbeit sollten somit zwei Fragen aufgeklärt werden:(1) Altern Muscheln in der gleichen Weise wie die klassischen Modelorganismen Ratte, Maus oder Mensch?(2) und wodurch wird das unterschiedliche maximale Lebensalter der verschiedenen Muschelarten bestimmt? Diese Fragen untersuchte ich im Hinblick auf zwei Alterstheorien, die Rate of Living Theory von Raymond Pearl und die Free Radical Theory of Ageing von Denham Harman. 1928 beschrieb Pearl, dass ein Zusammenhang zwischen der Stoffwechselrate und dem maximalen Lebensalter von Tierarten besteht. Tiere mit hoher Stoffwechselrate, z.B. Mäuse, leben kürzer als Tiere mit niedriger Stoffwechselrate, wie z.B. Elefanten. Es war jedoch nicht klar, wodurch dieser Zusammenhang zustande kam. Die Theorie von Harman bietet eine Erklärung für diese Beobachtung. Denham Harman zeigte 1956, dass in Sauerstoff-Atmenden Organismen unter normalen Lebensbedingungen Sauerstoffradikale, abgekürzt ROS (reactive oxygen species), entstehen. ROS sind Formen des Sauerstoffs die sehr aggressiv sind und Zellbestandteile wie Membranen und DNA (das Erbgut) angreifen und zerstören können. Harman erklärte in seinem Artikel Ageing: a theory based on free radical and radiation biology, dass die Bildung reaktiver Sauerstoffderivate und die dadurch entstehenden Zellschäden zur Alterung führen. Da die zelluläre ROS-Produktion mit steigender Stoffwechselrate zunimmt, würde nach der Theorie von Harman auch der Alterungsprozess beschleunigt werden und damit Pearls Beobachtung erklären.Die Tatsache, dass diese zerstörerischen ROS tatsächlich in allen Zellen entstehen, wurde von anderen Wissenschaftlern zunächst sehr skeptisch diskutiert. 1969 jedoch fanden Fridovich und McCord das Enzym Superoxid-dismutase, dessen einzige Aufgabe es ist das Sauerstoffradikal Superoxid zu zerstören. Damit war bewiesen, dass in der Tat ROS in Organismen entstehen und diese zur Alterung beitragen könnten. Weitere Forschungen zeigten, dass besonders die Mitochondrien, die Energielieferanten der Zellen, eine große Quelle von ROS sind. Mitochondrien stellen jedoch nicht nur die größte Quelle an ROS dar, sie sind auch besonders empfindlich diesen gegenüber. So wird den Mitochondrien eine tragende Rolle im Alterungsprozess zugesprochen. In meiner Arbeit habe ich beide Theorien an Muscheln untersucht. Zum einen sollte geklärt werden, ob die Free Radical Theory of Ageing auch bei Muscheln gilt. Zum anderen wollte ich der Beobachtung nachgehen, warum Muscheln aus kälteren Gebieten älter werden als jene aus wärmeren Gebieten. Muscheln sind wechselwarme Organismen, ihre Körpertemperatur entspricht daher immer der Umgebungstemperatur, d.h. bei 0°C kaltem Wasser hat eine Muschel auch eine Körpertemperatur von 0°C. Da die Stoffwechselrate und damit die Bildungsrate von ROS mit zunehmender Temperatur ansteigt, könnten die Theorien von Pearl und Harman das abnehmende maximale Lebensalter mit steigender Umgebungstemperatur erklären. Um diese Fragen zu klären untersuchte ich den Alterungsprozess verschiedener Muschelarten aus der Antarktis und gemäßigten Breiten, welche unterschiedliche maximale Lebensspannen (MLSP) besitzen: die beiden im Sediment eingegrabenen Schlickmuscheln Mya arenaria aus dem niederländischen Wattenmeer (MLSP ~13 Jahre) und Laternula elliptica von der Antarktischen Halbinsel (MLSP ~36 Jahre), sowie die aktiv schwimmenden Pilgermuscheln Aequipecten opercularis (MLSP ~8 Jahre) aus der Irischen See und Adamussium colbecki aus der Hochantarktis (MLSP ~45 Jahre). Die mittlere Lebensraumtemperatur lag bei den Antarktischen Muscheln um 0°C und bei den Muscheln der gemäßigten Breiten um 10°C. Die Stoffwechselrate unterschiedlich großer Muscheln der verschiedenen Arten wurde im Aquarium mittels des Sauerstoffverbrauchs bei ihrer jeweiligen Lebensraumtemperatur bestimmt. An Mitochondrien, welche aus dem Mantelgewebe junger und alter Muscheln isoliert wurden, erfolgte die Messung der Mitochondrien-Funktion. Als Marker für die Funktion bestimmte ich zum einen den Sauerstoffverbrauch der isolierten Mitochondrien als auch die Reaktion der Mitochondrien auf die Zufuhr von Nahrung. Die antioxidativen Enzyme Superoxid-dismutase und Katalase sowie ein nicht-enzymatisches Protein mit antioxidativer Wirkung, Glutathion, wurden als Marker für Schutzfunktionen gegenüber ROS in den Geweben der Muscheln untersucht. Um zu sehen, ob die Schutzfunktionen auch wirksam gegen die Schädigung durch ROS sind, wurde weiterhin die Menge geschädigter Proteine und Fette in den Zellen bestimmt. Es zeigte sich, dass die Alterung von Muscheln wie bei Ratten und Menschen entsprechend der Sauerstoffradikal-Theorie verläuft. Die langlebigere antarktische Muschelart, im Vergleich mit der kurzlebigeren Muschelart aus gemäßigten Breiten, besaß eine niedrigere Stoffwechselrate, eine geringere Bildung von ROS, bessere Schutzfunktionen und zeigte geringere Schädigung von Zellbestandteilen sowie gut funktionierende Mitochondrien, selbst im hohen Alter. Die Theorien von Pearl und Harman können somit die Langlebigkeit der Muscheln in den kalten Meeresgebieten erklären. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass nicht nur die niedrigeren Stoffwechselraten an sich zu dieser Langlebigkeit führen, sondern auch die Erhöhung der Schutzfunktionen. Weiterhin zeigte die Antarktische Schlickmuschel so niedrige ROS-Bildungsraten, dass dies nicht alleine durch die niedrigeren Stoffwechselraten erklärt werden kann. Aufgrund von Arbeiten anderer Forschergruppen nehme ich an, dass die Anpassung an die kalten Umgebungstemperaturen zu einer grundsätzlichen Veränderung der Mitochondrien geführt hat. Dies könnte als positiven Effekt die Erniedrigung der ROS-Bildung und damit eine Verlängerung der Lebensspanne zur Folge haben. So einfach wie es auf den ersten Blick erscheint, ist es jedoch nicht. Die unterschiedlichen Lebenspannen der vier Muschelarten lassen sich nur mit der Sauerstoffradikal-Theorie erklären, wenn man die Schlickmuscheln und die Pilgermuscheln getrennt betrachtet. Vergleicht man nur die beiden Muschelarten Mya arenaria und Aequipecten opercularis aus den gemäßigten Breiten, mit den unterschiedlichen Lebensweisen, passiv grabend und aktiv schwimmend, so zeigt sich ein fast umgekehrtes Bild. Die aktivere, kurzlebigere Pilgermuschel besitzt an ihre aktive Lebensweise besser angepasste Mitochondrien, die über die gesamte Lebensspanne kaum an Fitness verlieren. Sie zeigt zusätzlich bessere Schutzsysteme und weniger Zellschäden als die langlebigere Schlickmuschel. Unsere Hypothese ist, dass die Pilgermuschel eine zeitlebens optimale physiologische Fitness aufrecht erhält um Fressfeinden möglichst lange zu entgehen. Bei dieser aktiv schwimmenden Art könnte eine geringe Abnahme der Fitness schneller zum Tod führen als bei der eher passiven Schlickmuschel. Die Pilgermuscheln verfährt somit nach einer Supermann-Strategie, d.h. optimale Fitness über die gesamte, wenn auch kurze, Lebensspanne; während die Schlickmuschel einer Verfall-Strategie folgt: es wird wenig Energie in die Erhaltung des Gewebes investiert, in Kauf nehmend, dass die individuelle Fitness mit zunehmenden Alter sinkt. Es bleibt damit die Frage, warum die aktive Pilgermuschel nur eine Lebenspanne von 8-10 Jahren besitzt, obwohl Sie so fit bleibt. Die Suche nach anderen Parametern hat begonnen und bildet die Grundlage für meine weitere Forschung.



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Conference (Invited talk)
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Understandable Scienes Contest of the GKSS, Hamburg, Germany..
Eprint ID
17372
Cite as
Philipp, E. (2006): Fit wie eine Muschel? Altersforschung an Muscheln aus der Nordsee und Antarktis. , Understandable Scienes Contest of the GKSS, Hamburg, Germany. .


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